„Ich traue mir alles zu“

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SPÖ-Chefin PAMELA RENDI-WAGNER  im Interview mit Othmar Pruckner über die Corona-Jobkrise, Viertagewoche, Mega-Konjunkturpakete und Gerüchte über einen fliegenden Koalitionswechsel.

TREND: Sie sind Ärztin. Würden Sie zur Zeit gerne regieren, als Gesundheitsund Sozialministerin an der Front stehen?

RENDI-WAGNER: Wir haben als Opposition in dieser historischen Krise eine zentrale Aufgabe. Ich zeige Fehlentwicklungen auf, mache aber auch seit Anfang der Pandemie konstruktive Vorschläge, empfehle neue Maßnahmen, um der Krise besser begegnen zu können. Ich bin lösungsorientiert.

TREND: Umso mehr könnten Sie sagen: Ich trau mir das zu, ich würde das gerne machen.

RENDI-WAGNER: Ich traue mir alles zu, natürlich. Sonst wäre ich nicht in die Politik gegangen.

TREND: Es kann ja sein, dass die Grünen kippen. Halten Sie sich für einen fliegenden Koalitionseintritt bereit?

RENDI-WAGNER: Die Frage stellt sich jetzt nicht. Die Bundesregierung ist gewählt und noch nicht einmal ein Jahr im Amt. Sie muss ihre Arbeit machen. Das erwartet sich jeder in diesem Land.

TREND: Aber denkmöglich ist doch vieles jetzt in der Krise.

RENDI-WAGNER: Wir alle haben seit neun Monaten eine Aufgabe: gemeinsam bestmöglich aus der Krise zu kommen. Da leiste ich als Chefin der größten Oppositionspartei meinen Beitrag.

TREND: Wenn Sie aber doch die Rolle von Gesundheitsminister Rudolf Anschober übernehmen müssten: Was würden Sie besser machen?

RENDI-WAGNER: Vorbereitung vor Ankündigung wäre ein wichtiger Grundsatz. Es müssten alle Beteiligten besser eingebunden werden. Ich meine da nicht nur die Kommunikation mit dem Parlament, mit den Sozialpartnern, mit den Bundesländern und Gemeinden, die alle Maßnahmen umsetzen müssen. Es geht auch um die Kommunikation mit der Bevölkerung.

TREND: Wie würden Sie die Kommunikation denn ganz konkret besser gestalten?

RENDI-WAGNER: Wenn Bundesregierung, Länder und Gemeinden sichtbar an einem Strang ziehen, dann wird die Bevölkerung auch mitgenommen. Das Land wird nicht über Pressekonferenzen regiert, das Gemeinsame muss erarbeitet werden. Weil das nicht passiert ist, gab es des öfteren Kommunikationswirrwarr wie etwa bei der Corona-Ampel.

TREND: Ist nicht auch in den Ländern viel falsch gelaufen?

RENDI-WAGNER: In einer Pandemie braucht es zentrales Krisenmanagement. Das Miteinander muss im Mittelpunkt stehen. Wer hat letztendlich die Kohlen aus dem Feuer geholt? Es waren oft die Länder, die Gemeinden, die Bürgermeister.

TREND: Wie enttäuscht sind Sie, dass sich so wenige Menschen testen lassen?

RENDI-WAGNER: Es geht nicht darum, ob Rendi-Wagner enttäuscht ist. Die Frage ist doch, warum die Bundesregierung in den letzten Monaten das Vertrauen der Bevölkerung ins Krisenmanagement verloren hat. Es ist das Ergebnis verwirrender Kommunikation.

TREND: Verwirrende Kommunikation gibt es auch in der SPÖ. Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker nennt die Maskenpflicht für Schüler eine Quälerei.

RENDI-WAGNER: Ich empfinde als Quälerei, dass die Kinder zum zweiten Mal in diesem Jahr wochenlang vom Regelunterricht ausgeschlossen wurden. Das Tragen der Maske ist mir lieber als geschlossene Schulen.

TREND: Hacker sagt auch, ihn würde es nicht stören, wenn die Leute schon jetzt ihr Schnitzel im Gasthaus essen dürften. Was sagen Sie ihm?

RENDI-WAGNER: Als Expertin muss ich sagen: Wir haben bei den Fallzahlen noch ein zu hohes Niveau. Ich halte es für absolut richtig und notwendig, dass die Gastronomie in diesem ersten Schritt der Lockerung geschlossen bleibt.

TREND: Florian Krammer, Virologe in New York, sagt, die Öffnung der Geschäfte jetzt erfolgt viel zu früh. Stimmen Sie ihm zu?

RENDI-WAGNER: Aus rein virologischer Sicht ist das wahrscheinlich richtig. Aber man muss das gesamte Bild sehen. Man kann die Wirtschaft nicht monatelang auf null runterfahren. Man kann eine Gesellschaft nicht monatelang einsperren.

TREND: Die Gewerkschaft verlangt wie die Wirtschaft, die Gastronomie in den Skigebieten zu öffnen. Ist der Regierungskurs wirklich richtig?

RENDI-WAGNER: Jetzt ist nicht die Zeit für Hüttengaudi. Dafür sind die Fallzahlen einfach viel zu hoch. Im Zweifelsfall bin ich dafür, zugesperrt zu lassen.

TREND: Sie tragen den Kurs der Regierung also mit?

RENDI-WAGNER: Der Mittelweg mit schrittweisen, behutsamen und kontrollierten Lockerrungen ist ein gangbarer, im Interesse unsere sozialen Lebens, der Wirtschaft und der Arbeitsplätze. Nichtsdestotrotz bleibt es eine heikle Situation.

TREND: Sie schlagen vor, die Menschen sollen sich selbst, in ihren eigenen Wohnungen, testen. Wie soll das funktionieren, wie wollen Sie die Menschen dazu überreden?

RENDI-WAGNER: Es gibt zwei Möglichkeiten, die Fallzahlen zu senken: Entweder die Regierung wiederholt in regelmäßigen Abständen ihre Massentests mit großem logistischem Aufwand. Wenn die regelmäßige Umsetzung dieser Massentests schwierig ist, könnte man mit neuen, einfach zu handhabenden Schnelltests, die man der Bevölkerung zur Verfügung stellt, die Massentests zu Hause machen lassen. Das Testen im Wohnzimmer wäre ein völliger Strategiewechsel. Diese Tests werden Anfang 2021 zur Verfügung stehen. Damit könnte man einen dritten Lockdown verhindern.

TREND: Wie wollen Sie denn kontrollieren, ob und wie man dann sein – eventuell positives -Ergebnis meldet?

RENDI-WAGNER: Alles steht und fällt mit guter Information und der Vermittlung, was der Sinn dieser Wohnzimmer-Tests ist. Man kann sich selbst ein Stück normales Leben zurückholen! Wir testen uns gemeinsam aus der Krise heraus! Es gäbe offene Gastronomie, Theater und Veranstaltungen, und trotzdem könnte die Virusausbreitung unter Kontrolle gehalten werden.

TREND: Nur 20 Prozent der Menschen wollen sich sicher impfen lassen. Wie erreichen Sie Impfskeptiker und Coronaleugner?

RENDI-WAGNER: Auch hier steht und fällt alles mit vertrauensbildender Kommunikation. Information in einer ganz einfachen Sprache. Und man muss ehrlich auch eventuelle Nebenwirkungen erklären, die wie bei jeder anderen Impfung möglich sind. Niedergeschlagenheit, Fieber oder Schmerzen wären nicht ungewöhnlich.

TREND: Auch aufgrund des Ausfalls der Wintersaison steigt die Arbeitslosigkeit rapide. Wir werden bald die Schmerzgrenze der halben Million Arbeitslose erreichen

RENDI-WAGNER: Die Auswirkung der Krise auf den Arbeitsmarkt ist verheerend, das war immer absehbar. Aber im Vergleich mit Deutschland ist sie in Österreich überproportional hoch. Die Gründe liegen sicher bei den schlechten Wirtschaftshilfen im ersten Lockdown. Da wurde zu bürokratisch, zu spät reagiert. Nur die Kurzarbeit war und ist ein Erfolgsmodell, auch dank der Sozialpartnerschaft.

TREND: Was muss die Regierung tun, um die Arbeitslosigkeit in den Griff zu kriegen?

RENDI-WAGNER: Es gibt akute sowie mittel-und längerfristige Maßnahmen. Unser Druck hat genützt, die direkten Wirtschaftshilfen werden über die Finanzämter nun viel schneller abgewickelt, Unternehmer kommen schneller an ihr Geld. Dringend nötig wäre auch, die indirekt betroffenen Betriebe zu unterstützen. Beim Budget, das Finanzminister Blümel vorgelegt hat, fehlen mir die großen Investitionen. Was die Regierung als Investitionen verkauft, wird der Dimension der Krise nicht gerecht.

TREND: Vizekanzler Kogler sagt, so viel wie jetzt wurde noch nie in Verkehr, Umwelt, Klimaschutz investiert. Und das Budgetdefizit steigt ohnedies schon exorbitant.

RENDI-WAGNER: Nichts tun kommt definitiv teurer. Deutschland denkt schon jetzt über das zweite Konjunkturpaket nach. Mit kleinen, planlosen Einzelmaßnahmen kann man die Krise nicht bewältigen. Das Paket der Regierung ist zu klein, zu wenig ambitioniert, ein Fleckerlteppich.

TREND: Die Umweltministerin nennt die Investitionen in die Schiene dagegen epochal.

RENDI-WAGNER: Ich sehe zu wenig Ambition. Wir schlagen zehn Milliarden Euro pro Jahr vor, noch in dieser Legislaturperiode.

TREND: Kann so viel Geld überhaupt noch sinnvoll verbaut werden?

RENDI-WAGNER: Es geht nicht nur ums Bauen, sondern um den Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Um Investitionen in den Klimaschutz. Die Klimakrise ist ja nicht abgeschafft. Wir brauchen Investitionen in Forschung, Entwicklung, in Wohnbau. Den Gemeinden muss man mehr Geld in die Hand geben. Sie sind ein großer Wirtschaftsfaktor für unzählige kleine Unternehmen. Der Wirtschaft fehlen Aufträge. Es braucht öffentliche Investitionen, es braucht Kaufkraft.

TREND: Die Sie wie stärken?

RENDI-WAGNER: Wir wollen eine starke Steuersenkung auf kleine und mittlere Einkommen in der Größenordnung von fünf Milliarden Euro. Wir wollen eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes von 55 auf 70 Prozent, rund 300 Euro pro Monat mehr. Und es braucht aktive Arbeitsmarktpolitik, Umschulung, Umqualifizierung Richtung Pflege.

TREND: Ich bin ungern Anwalt der Regierung, aber da ist doch schon vieles auf Schiene, etwa die Corona-Joboffensive.

RENDI-WAGNER: Gehört habe ich auch viel, gesehen noch nichts! Es gab viele Überschriften, aber umgesetzt ist nichts.

TREND: Ist Ihr Vorschlag der Viertagewoche noch aufrecht?

RENDI-WAGNER: Es geht genauer um Arbeitszeitverkürzung durch eine freiwillige, geförderte Viertageswoche, und zwar dort, wo es Sinn macht. Wir haben 450.000 Arbeitslose und 60.000 offene Stellen. Das ist eine enorme Diskrepanz. Und es gibt viele Unternehmen, die zu wenige Aufträge haben. Die werden möglicherweise mit Kündigungen reagieren, wenn im Frühling die Kurzarbeit ausläuft. Denen gibt das Modell Flexibilität und die Möglichkeit, die Mitarbeiter zu halten, es bietet Vorteile für Unternehmen wie Arbeitnehmer.

TREND: Wirtschaftsforscher sagen, die Viertagewoche bringt keine neuen Jobs, sondern bestenfalls Überstunden für die ohnedies Beschäftigten und gefährdet den Standort.

RENDI-WAGNER: Nochmals: Ich trete für ein freiwilliges, gefördertes Modell ein, für jene Betriebe, denen es auch Vorteile bringt. Laut Experten gibt es sehr wohl auch Potenzial für neue Jobs.

TREND: Für Wiens Wirtschaftsrat Peter Hanke hat die Viertagewoche keine Priorität. Und Landeshauptmann Hans Peter Doskozil sagt, die Menschen wollen nicht weniger arbeiten, sondern mehr verdienen.

RENDI-WAGNER: Es braucht beides. Was nützt den Menschen ein theoretischer Lohnzuwachs, wenn sie keinen Job haben? Wir stehen in einem gewaltigen Wirtschaftseinbruch und müssen vorhandene Arbeit auf die Menschen verteilen. Es gibt nichts Teureres als Arbeitslosigkeit.

TREND: Um aus der Jobkrise zu finden, braucht es auch bessere Bildung. Hannes Androsch sagt, die SPÖ hat in der Bildungsfrage den Anschluss verloren. Hat er recht?

RENDI-WAGNER: Wenn ich nach Wien schaue und sehe, was da punkto Bildung, konkret zur Gratis-Ganztagsschule geplant ist, sehe ich das ganz anders. Dort, wo die SPÖ regiert, wird zukunftsweisende Bildungspolitik gemacht. Auch im Burgenland und in Kärnten.

TREND: Verfolgen Sie noch das große Ziel der gemeinsamen Schule der Zehn-bis Vierzehnjährigen?

RENDI-WAGNER: Für mich steht Chancengerechtigkeit im Mittelpunkt. Der erste Schritt dazu ist der starke Ausbau der Ganztagsschulen. Schauen wir doch nach Skandinavien, in die Länder mit den besten Bildungsergebnissen die eine gemeinsame Schule haben. An diesen Ländern sollten wir uns orientieren. Wir sollten von den Besten lernen. Ich habe mir selbst in Finnland das Modell angeschaut und bin überzeugt, dass das der richtige Ansatz für die Zukunft ist.

TREND: Um die Bildungsverluste durch Distance Learning auszugleichen, fordern die Neos, die Schulpflicht um ein Jahr zu verlängern. Gut?

RENDI-WAGNER: Es sollte die Möglichkeit eines weiteren freiwilligen Schuljahres geben. Darüber muss man jedenfalls diskutieren. Die Lehrstellenlücke ist groß, eine Generation Corona muss mit aller Kraft verhindert werden. Eine Krise ist eine Zeit, in der man mutige und neue Wege gehen soll.

TREND: Birgit Hebein, die abgelöste grüne Wiener Vizebürgermeisterin, hat einst gesagt, sie sei eine linke Politikerin. Wie ordnen Sie sich ein? Stehen Sie auch links?

RENDI-WAGNER: Ich bin eine Sozialdemokratin der Mitte. Die Frage der Chancengerechtigkeit ist für mich absolut zentral. Gleichzeitig darf sich die Sozialdemokratie auch den Leistungsbegriff nicht nehmen lassen. Ich will eine leistungsgerechte Chancengesellschaft. Ich stehe für eine freie, solidarische Gesellschaft, in der jeder die Möglichkeit hat, Leistung zu erbringen. Mehr Verteilungsgerechtigkeit und mehr Bildung sind dafür unabdingbar notwendig.

trend“ Nr. 50/2020 vom 11.12.2020

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