Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) über Umfragen, ihren Kanzleramtsanspruch und den Ärzte-Mangel. Das Gespräch führte NÖN-Chefredakteur Daniel Lohninger.
NÖN: Wann geben Sie zu, dass es ein strategischer Fehler war, die Regierung Kurz I abgewählt zu haben?
Pamela Rendi-Wagner: Ich bin überzeugt, dass das die richtige Entscheidung war – es war die Entscheidung zwischen „Wir unterstützen eine ÖVP-Alleinregierung“ oder wir entscheiden uns für Stabilität. Wir haben uns für den Weg der Stabilität entschieden, den Weg einer unabhängigen Expertenregierung. Damit haben wir sichergestellt, dass die Umstände um das Ibiza-Video unabhängig aufgeklärt werden und das Parlament stabil arbeiten kann. Alleine die Entwicklungen der letzten Tage und Wochen bestärken mich darin.
In den Umfragen ist die SPÖ abgestürzt und liegt auf Augenhöhe mit der FPÖ.
Rendi-Wagner: Wir sind weit entfernt von einer Augenhöhe mit der FPÖ in den Umfragen. Aber für mich war die Grundlage für diese Entscheidung keine parteitaktische, sondern eine Frage der staatspolitischen Verantwortung. Und manchmal hat man Entscheidungen zu treffen, die einem selbst vielleicht nicht nützen, die aber getroffen werden müssen.
Wie erklären Sie sich aber, dass der FPÖ das Ibiza-Video weniger schadet als der SPÖ – obwohl die FPÖ diesen Skandal verursacht hat?
Rendi-Wagner: Ich weiß, dass mein Weg der richtige für Österreich war, und wir werden jeden Tag und jede Stunde bis zum 29. September nutzen, das Vertrauen der Menschen in unsere Vorstellungen, Ideen und Programme zu stärken.
Sie wollen nicht nur vor der FPÖ landen, Sie wollen auch Kanzlerin werden. Halten Sie das für realistisch – die SPÖ liegt in Umfragen etwa 15 Prozent hinter der ÖVP?
Rendi-Wagner: Die einzige Umfrage, die zählt, ist das Wahlergebnis am 29. September. Die Aufholjagd hat jetzt begonnen, sie ist noch lange nicht zu Ende. In vielen Gesprächen spüre ich die wachsende Zustimmung zu unseren Ideen, Inhalten und Antworten. Ich habe in den letzten Wochen über 14.000 Anfragen bekommen, von Menschen, die mitmachen und mitkämpfen wollen – und unseren Wahlkampf unterstützen.
Sie könnten wie Wolfgang Schüssel auch als Drittplatzierte Bundeskanzlerin werden. Ist das eine Option?
Rendi-Wagner: Man soll über Koalitionen oder Konstellationen erst am frühen Wahlabend reden. Ich habe eine Sache dezidiert ausgeschlossen: dass ich mit der FPÖ auf der Regierungsbank Platz nehmen werde.
Was glauben Sie, sind die Themen, die für die Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher relevant sind?
Rendi-Wagner: Ein Drittel der Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher wird nicht im eigenen Bundesland gesundheitlich versorgt – ein Großteil in Wien. Das heißt nicht, dass die Spitäler in Niederösterreich eine schlechtere Versorgung bieten. Aber es zeigt, dass die wohnortnahe ärztliche Versorgung in einigen ländlichen Regionen Niederösterreichs nicht mehr so gegeben ist, wie es sein sollte. Ich bin überzeugt, dass jede Gemeinde ihren Hausarzt und ihre Hausärztin haben muss. Der Kampf gegen den Ärztemangel ist für Niederösterreich wichtig. Wesentlich sind auch der Kampf gegen die Klimakrise und die damit verbundene Notwendigkeit, den Öffi-Verkehr auch in Randlagen auszubauen, leistbares Wohnen für alle sowie wohnortnahe und ganztägige Kinderbetreuung.
Gegen den Ärzte-Mangel schlägt Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner eine Verdoppelung der Medizin-Studienplätze vor.
Rendi-Wagner: Es sind viele Schrauben, an denen man drehen muss. Österreich hat eine sehr hohe Ärztedichte. Man muss sich also fragen, warum wir dann Lücken in der Hausarztversorgung haben. Die Ursachen dafür sind, dass mehr als ein Viertel der fertigen Medizin-Studenten nicht in Österreich bleiben. Und die, die dableiben, gehen oft nicht mehr in die öffentliche Gesundheitsversorgung, sondern in das privatärztliche System. Mit einer Aufstockung der Medizin-Studienplätze lösen wir diese Probleme also nicht. Eher mit einem Stipendiensystem, das Medizinstudenten verpflichtet, mindestens fünf Jahre nach der ärztlichen Ausbildung auch in Österreich im öffentlichen Gesundheitsbereich tätig zu sein.
Das Geld dafür kommt woher?
Rendi-Wagner: Das Geld ist zum Teil bereits da – im Zielsteuerungsvertrag in der Gesundheitspolitik, der 2017 abgeschlossen wurde, ist viel Budget für die Unterstützungen junger Ärzte und Ärztinnen reserviert.
Die SPÖ tritt in Niederösterreich mit dem kaum bekannten Rudolf Silvan an der Spitze an. Ex-Ministerin Sonja Hammerschmid ist nur Listenzweite. Was hat Silvan, das Hammerschmid nicht hat?
Rendi-Wagner: Ich kenne Sonja Hammerschmid sehr gut und sehr lange. Der Vergleich mit Rudi Silvan ist also ein ungleicher. Aber ich kann Ihnen sagen, dass er einer ist, der Zeit seines Lebens als Gewerkschafter immer auf der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gestanden ist. Und gerade nachdem die türkis-blaue Regierung die Arbeitnehmerrechte mit Füßen getreten hat, sehe ich Rudi Silvan als wichtiges und starkes Signal an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Die SPÖ positioniert sich auch klar als Partei, die Maßnahmen gegen den Klimawandel setzen wird. Zugleich sind Sie für den Ausbau des Flughafens Schwechat. Wie passt das zusammen?
Rendi-Wagner: Die Politik hat die Aufgabe, mehrere Herausforderungen gleichzeitig zu lösen. Da gibt es nicht nur die Klimaherausforderung, sondern es gibt die Herausforderung, dass soziale Sicherheit gewährleistet ist, dass Arbeitsplätze vorhanden sind, dass die Menschen genug zum Essen haben. Was die Politik niemals darf, ist zum Beispiel Klimaschutz gegen soziale Gerechtigkeit auszuspielen. Man muss sich bei der Klimapolitik auch immer an der Lebensrealität der Menschen orientieren.
Ihr Wahlziel für den 29. September?
Rendi-Wagner: Sozialdemokratie erster Platz.
Hier geht es zum Interview auf der NÖN-Website.
